Montag, 7. November 2011

Seit 37 Jahren das Gesicht des DRK

WEDEL. Die Wedeler Rudolf-Höckner-Straße 6, der Sitz des Ortsverbandes des Deutschen Roten Kreuzes, ist ihr zweites Zuhause. Und ihre private Telefonnummer längst nicht mehr privat. Ursula Kissig, 75 Jahre alt, ist das DRK Wedel. Liebevoll wird sie "Miss DRK" genannt. Seit 1974 gehört sie zum Ortsverein, hat ihn mitgestaltet, vergrößert und betreut.

von Uta Paulus, Wedel-Schulauer Tageblatt

Dabei war es Zufall, dass sie beim DRK landete. Sie hatte in der Kirche als Mutter eine Rede zum Erntedank gehalten. Als der Pastor von Bürgermeister Fritz Hörnig angesprochen wurde, ob er jemanden wüsste, der sich in der Seniorenarbeit engagieren würde, habe der Pastor sie vorgeschlagen. "Ich habe gedacht, ich kann ja mal zum Gespräch zum Bürgermeister gehen. Und dann hatte der schon die Presse eingeladen und stellte mich als neue Mitarbeiterin vor", erzählt Kissig. Ihre Aufgabe: Etwas für das Miteinander der älteren Bürger Wedels tun.

Das DRK, damals noch ansässig in dem Gebäude an der Küsterstraße, wo heute das Stadtmuseum zu finden ist, bestand im Prinzip nur aus einer Kleiderkammer "mit einem Kanonenofen, den wir füttern mussten". In den vergangenen 30 Jahren zog das DRK mehrfach um, bis die Begegnungsstätte an der Rudolf-Höckner-Straße gebaut wurde.

Ihr Mann hatte damals nicht gewollt, dass die Ver wal tungs ober inspek tor in mit Aussicht auf den Posten eines Amtmannes nach der Geburt des Sohnes wieder in den Beruf zurückkehrte - und vorgeschlagen, sie könne sich doch anderweitig engagieren. Aus der zusätzlichen Beschäftigung wurde im Laufe der Jahre ein Vollzeitjob - im Ehrenamt. "Wenn ich in den Beruf zurückgekehrt wäre, hätte ich jetzt richtig gut Knete", sagt Kissig. "Aber das will ich mir auch gar nicht vorstellen. Ich habe nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben." Denn: "Was man anfängt, kann man nicht wieder bleiben lassen", ist die Devise der kleinen, zierlichen Frau.

Seit 1974 ist sie Zweite Vorsitzende. "Sie glauben ja gar nicht, wie oft ich gefragt worden bin, wann ich mich zur Vorsitzenden wählen lasse", sagt sie. Aber das kommt für die aus dem katholischen Paderborn stammende Kissig überhaupt nicht in Frage. "Ich habe mir immer den Vorsitzenden gesucht", sagt sie. Ihre "Chefs" hätten vor allem die Aufgabe, das Ganze etwas von oben zu betrachten und zu repräsentieren. Dabei hat Kissig schon mehrere Vorsitzende an ihrer Seite gehabt. Nach dem "herben Verlust" des verstorbenen Peter Meier nun Josef Musil, "ein ganz anderes Kaliber".

Für Kissig ist es wichtiger, die Dinge am Laufen zu halten. Sie organisiert seit Jahrzehnten die Montagsseminarreihe, für die sie das ganze Jahr über Ausschau nach Referenten hält, die - ohne Bezahlung - bereit sind, einen der Nachmittage zu gestalten. Sie hat sich Gruppentreffen überlegt und Leute gesucht, die sie betreuen. Kissig stellt fest, "dass heute die praktischen Dinge weniger gefragt sind". Im Kommen seien Themen, "wo es um das Auf-sich-selbst-Besinnen geht". Und Kissig schreibt auch schon mal 42 Adressen handschriftlich auf die Einladungen für die "Oldtimer"-Treffen.

Dort kommen die ehemaligen Helfer des DRK zusammen, die aus Altersgründen nicht mehr aktiv sind. Kissig weiß: "Ehrenamtler muss man pflegen." 30 aktive Helfer sind in der Begegnungsstätte dabei. "Ich habe ein praktisches System gefunden, in dem ich jeden nur für ein Mal pro Woche verpflichte - dazu sind sie bereit."

Für Kissig hingegen ist es ein Vollzeitjob. Auch am Wochenende. Ihre private Telefonnummer ist längst zur DRK-Nummer geworden. Menschen rufen an, klagen über ihre Probleme. Kissig hört zu, vermittelt an andere Stellen. "Wir haben ja ein super soziales Netz hier." Auch wenn praktische Dinge, etwa die Vermittlung zur Schuldnerberatung, "schnell zu lösen sind", kosten die Gespräche sie viel Zeit, aber "die nehm ich mir". Oft gehe es nur ums Zuhören. "Manche kennen mich gar nicht, haben nur mein Bild und die Nummer in der Zeitung gesehen", so Kissig. Die Nummer ändern lassen, nur noch zu Büro zeiten im DRK Gespräche führen? Für Ursula Kissig keine Option: "Es wäre einfach nicht richtig zu sagen, ich bin jetzt nicht mehr erreichbar."

Wenn sie doch einmal Zeit für sich hat, geht sie gern ins Theater, vielfach in Hamburg. "Und ich liebe die Batavia", ruft Kissig aus und zählt die Stücke auf, die sie auf dem Wedeler Theaterschiff schon gesehen hat. Oder sie nimmt sich mittags eine Auszeit, fährt an die Elbe oder den Klövensteen. Mit dem Fahrrad, immer wenn es das Wetter zulässt.

Ans Aufhören denkt sie nicht. "Auf meinem Schreibtisch steht der Spruch 'Höre nie auf anzufangen', und das macht ja das Leben aus." Obwohl: "Manchmal denke ich schon, es reicht." Doch so lange es geht, nimmt sie das Leben positiv: "Sorge dich nicht, lebe" hat sie nach einem Herzinfarkt in der Reha gelesen - und aus vollem Herzen zugestimmt. Zudem habe sie schon etliche Versuche gestartet, andere für ihren Posten zu begeistern - erfolglos.

Kissig weiß aber auch: "Es geht auch weiter, wenn ich ausfalle." Ein Einschnitt in ihrem Leben war der plötzliche Tod ihres Mannes 1988. "Da wollte ich erst mal nicht mehr", erzählt sie. Doch dann habe mittags immer mal jemand vom DRK geklingelt und gefragt, wie es denn mit dem und dem sei. "Und da habe ich dann doch mal wieder vorbeigeschaut", sagt sie. Und weiß: "Das war das Beste, was mir passieren konnte."